Lotte Wegeleben - Aus dem Leben

Die Kupferstecherin Lotte Wegeleben (1908-1987)

Das Porträt, das Johannes Wüsten 1930 von seiner Schülerin und Kollegin Lotte Wegeleben ins Kupfer gestochen hat, erzählt viel über das Verhältnis der beiden. Sympathie läßt sich erkennen für die selbstbewußte junge Frau mit dem Handwerkszeug der Kupferstecherin, dem geflickten Blendschirm, dem Stichel ... und der Zigarette. Eine die entschlossen und gewiß auch in der Lage ist, ihre Begabung durchzusetzen, die Widerstand leisten kann, ohne ihren Charme aufzugeben, welcher durch eine gewisse Nachlässigkeit eher gewinnt - der hervorlugende Träger eines Büstenhalters und die knabenhafte Brust verraten die Spottlust des Stechers und eine dem ganzen Bild eigene spannungsvolle, vielleicht auch liebevolle Distanz. Schülerin? Kollegin? Freundin? das Rätsel wird nicht enthüllt, auch nicht im Leben.

Eine emanzipierte Frau Anfang der dreißiger Jahre.

Lotte Wegeleben, geboren am 27. Mai 1908 in Beuthen (Bytom). Die Eltern sind gelernte Gastwirte, erwerben den Hohenzollernhof in Görlitz und später das Ausflugs- und Versammlungslokal Hohenzollernburg am Fuße der Landskrone. In dem florierenden Familienbetrieb lernen die drei Schwestern arbeiten und mit Menschen umgehen. Jede der drei erlernt einen Beruf, Lotte Wegeleben wird Kindergärtnerin. Aber 1928 geht sie in die Mal- und Zeichenschule zu Johannes Wüsten und wird angenommen. Charlotte, du rennst in die Bohéme!, soll ihre ehemalige Schuldirektorin ausgerufen haben. Das hat ihr gefallen. Im Lyzeum von Görlitz gabs Elfenreigen und Kaiserverehrung und Gott segne unsere Soldaten, aber der Vater kommt schwer erschüttert aus den Grabenkämpfen des ersten Weltkriegs nach Hause. Sie wird jüngstes Mitglied der Wandervogelbewegung, bekommt dort wichtige Anregungen sich mit Literatur und Frauenemanzipation zu beschäftigen, tritt aus der Kirche aus. Es macht ihr Spaß, sich quer zu stellen und an der Seite von Johannes Wüsten gegen die "gutbürgerliche Gesellschaft" zu rebellieren, die sich zurecht von Wüstens Stichen angegriffen fühlt.

Die "Schule" spielte sich in den Nachmittagsstunden in Wüstens Atelier in der Kahle 7 ab. "Unter den ständigen Mitgliedern, (6 oder 7) waren Medizinalrat Dr.Jaeckel, einige Mädchen aus Kohlfurt, die vermutlich "in Künstlerkreisen verkehren wollten" und Alois Kosch." Später die Glasarbeiter aus Penzig, vor allem Josef Bankay. LW beschreibt, wie Johannes Wüsten mit Geduld und Einfühlung den Blick des gelernten Glasschneiders für die Kunst ausbildet. "Mit was meegen se den bloß geschlagen haben", soll er nach langem Umherschauen auf Grünewalds Kreuzigungsszene gefragt haben. "Wir haben gezeichnet. Johannes (...) versuchte Kupferstiche zu machen (...) Ich erlebte die ersten Anfänge seiner später so bedeutenden Kupferstecherei (...) Die Dörthe, seine Frau, war selten dabei. Sie malte"

Sie entdecken und entwickeln den Kupferstich, hören Musik, Bach, Jazz, die Revellers, Johannes verfaßt Moritaten, die Zeiten sind schlecht, sie wollen "Hofe singen" gehen. Sie gehen zeichnen vor der Natur, fahren Riesenrad, um die Welt von oben zu sehn, wandern durch die Kohlfurter Heide zum Heidehäusl und zur Mordschenke, und baden nachts in der Neiße, treiben Sport und böse Scherze mit den Görlitzer Kleinbürgern. Pung nennen sie das, Persönlichkeitsergänzung.

Johannes Wüsten und seine Schüler, Lotte Wegeleben, Josef Bankay, die gleiche unverwechselbare Auffassung vom Kupferstich und jeder seine eigene ausgeprägte Handschrift, so treten sie an die Öffentlichkeit als Görlitzer Stechergruppe, finden die Beachtung der Kunstkritik, stellen aus in Görlitz, Bautzen, Berlin, Köln, Königsberg, Breslau, Mannheim, Chicago. Museen kaufen ihre Blätter.

"Aber in Görlitz stieß Johannes Wüsten immer noch auf Ablehnung. Ein kleiner Kreis künstlerisch interessierter Ärzte, Schauspieler, Juristen, Geschäftsleute unterstützte ihn und kaufte regelmäßig ein Blatt." Auf der Berliner Ausstellung, Der neue Stich in Kupfer, Holz und Stein 1931, begeistert sich Lotte Wegeleben für die Stiche von Eddy Smith und fühlt sich bestätigt und angeregt, ihren eigenen Weg zu suchen. Die Freundschaft zu Johannes Wüsten, durch Illegalität und Emigration getrennt, bleibt bestehen. 1943 gelingt es ihr als entfernte Verwandte, ihn zweimal im Gefängnis in Moabit zu besuchen.

Als Lotte Wegeleben 1934 zu ihrem späteren Ehemann, Siegfried Tschierschky, nach Berlin geht, hat sie alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Laufbahn als Kupferstecherin. Die Galerie Gurlitt hat ihr einen Vertrag angeboten. Aber die Naziherrschaft verfinstert die Perspektiven des jungen Künstlerpaares und - typisches Frauenschicksal - sie entscheidet sich für Mann und Kind, macht den Kupferstich zum Brotverdienst (Briefmarken und Architekturstich). Fast alle ihre Arbeiten werden im Krieg zerstört. Nach dem Krieg bleibt die Familie Zentrum ihrer Kraftanstrengungen, die Höhe ihrer freien künstlerischen Arbeit in den dreißiger Jahren erreicht sie nicht wieder, aber sie erlebt das große Glück, ihre Kunst einem Schüler, Ulrich Karkkurt Köhler, weiterzugeben.

Am 28. Dezember 1987 ist Charlotte Tschierschky in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) gestorben.

Die Zitate sind der freien Mitschrift eines Gesprächs entnommen, das Dr. Kretzschmar am 7.Juli 1975 mit Charlotte Tschierschky (geb.Wegeleben) in Karl-Marx-Stadt führte.