Dorothea Wüsten - Aus dem Leben

von Albert Kleeberg

Dorothea Wüsten, am 8. November 1893 als zweites Kind des Apothekers Otto Koeppen und seiner Ehefrau Katharina, geb. Mangelsdorf, in Ketzin/Havel geboren, besuchte von 1900 bis 1903 die Vorschule in ihrem Geburtsort, anschließend die Privatschule Iffland in Potsdam und von 1906 bis 1910 das Lyzeums in Blankenburg/Harz.

Im ersten Weltkrieg von 1914 bis 1916 zunächst als Krankenpflegerin in einem Lazarett in Blankenburg tätig, ging sie im Herbst des Jahres nach München und begann eine einjährige Ausbildung als Malerin bei Willi Burmeister. Im Anschluss an einen Kursus für Steno und Schreibmaschine in Berlin arbeitete sie von Dezember 1917 bis Oktober 1918 bei den AEG in Tempelhof als Stenotypistin. Sowohl ihr Verlobter als auch ihr jüngerer Bruder fielen als Offiziere an der Westfront. Gegen Ende des Krieges nahm sie das Malstudium wieder auf, jetzt bei Eugen Spiro in Berlin. Sie übersiedelte im Oktober 1919 nach Düsseldorf zu einer dreijährigen Ausbildung an der Kunstakademie bei Prof. Heinrich Nauen.

Im Juli 1922 musste sie das Studium aus finanziellen Gründen vorzeitig beenden, arbeitete einige Monate in einer Fabrik für Holzspulen in ihrem Heimartort Blankenburg und ab Frühjahr 1923 als Keramik-Malerin in der Töpferei Rhaue in Görlitz. Hier lernt Dorothea Koeppen den Maler Johannes Wüsten kennen, was ihren ganzen Lebensweg entscheidend prägen sollte. Er selbst schrieb darüber: "Anfang 23 lernte ich bereits Dörthe kennen, und die hat erstmal vor meiner Kunst einen Mordsschreck bekommen. Mit vollstem Recht natürlich. Aber nun war plötzlich jemand da, dem Kunst ein Wertebegriff war. Daß ich mich spornstreichs in sie verliebte, war eigentlich ebenso selbstverständlich, wie daß sie mit mir durchaus nichts nach dieser Richtung hin anzufangen wußte".

Ihre Idee war es auch, eine keramische Werkstatt zu gründen, um der Inflation zu begegnen und eine Existenzgrundlage zu schaffen. So entstand im gleichen Jahr die "Seidenberger Fayence-Manufaktur Görlitz, Bellermann & Wüsten", künstlerische Leiter waren Johannes Wüsten und Dorothea Koeppen. Im Jahr 1926 heiraten sie. Johannes hatte inzwischen mit vier Künstlerkollegen die "Görlitzer Malschule" gegründet, die bis 1931 bestand.

Vom malerischen Schaffen der Künstlerin aus dieser Zeit, in der sie auf Ausstellungen vertreten war und auch Arbeiten verkaufen konnte, sind nur wenige Zeugnisse bekannt geworden. Aus den erhaltenen Gemälden lässt sich jedoch eine überraschende und schnelle Entwicklung erkennen. Zwei Gemälde aus Mitte der 20er Jahre wurden aus Görlitzer Privatbesitz bekannt, das eine mit dem Titel "Schaufensterpuppe", das andere ein Kinderbildnis. Die Städtischen Kunstsammlungen Görlitz erwarben 1980 aus Privatbesitz ein Gemälde Dorothea Wüstens von 1926, das das ikonographisch seltene Thema "Petri Gesicht" (auch "Petri Fastenwunder") darstellt. Ein 1930 entstandenes Damenbildnis, ein Kniestück in hellgrün gemustertem Kleid auf weinrotem Grund, lässt die Fähigkeit der Malerin erkennen, sich im Sinne des Stilwandels der "Neuen Sachlichkeit" dem Porträt zu widmen. Ein weiteres Hauptwerk ist das 1929 datierte Bildnis ihrer Schwiegermutter Frieda Wüsten (Städtische Kunstsammlungen Görlitz). Ihr grafisches Schaffen aus jener Zeit weist sie auch als begabte Porträt-Zeichnerin aus, so mit dem Blatt "Jo und ich" (1931). Viele kolorierte Zeichnungen und Aquarelle zeigen ihre liebevolle Hinwendung zu Menschen und Landschaft der Oberlausitz und zu Görlitz. Im Sommer 1927 unternahmen Dorothea und Johannes Wüsten eine Studienreise nach Dalmatien. Als sich Johannes Wüsten im gleichen Jahr dem Studium der Stichtechniken zuwandte und ab 1928 bis 1933/34 fast ausschließlich als Kupferstecher betätigte, gehörte sie zum Kreis seiner Schüler.

Über ihre Entwicklung in diesen Jahren schrieb sie selbst: "Durch meinen Mann kam ich zum erstenmal zu einer klaren Einschätzung der politischen Vorgänge, die ich bis dahin rein gefühlsmäßig empfunden hatte... Das Studium der "Weltbühne" mit den Artikeln Carl von Ossietzkys ließ mich die gefährliche Situation in Deutschland erkennen und brachte bei mir eine ausgesprochene Abneigung gegen die Nationalsozialisten hervor. Dazu kam der rege Umgang mit Arbeitern, die sich für unsere Kunst interessierten. Als dann Hitler an die Macht kam, die Genossen in die Illegalität gingen und die Verhaftungen nur wenige übrig ließen, bat ich Ende Februar mitarbeiten zu dürfen und wurde in die illegale KPD in Görlitz aufgenommen" (Lebenslauf, geschrieben etwa 1951). Im Frühjahr 1934, von Verhaftung und Prozeß unmittelbar bedroht, muss ihr Mann in die Tschechoslowakei flüchten. Im November wird sie selbst festgenommen. Bis April 1935 in U-Haft in Görlitz und Breslau, wird sie in einem dreitägigen Prozess des Hochverrats angeklagt, jedoch dank der Verschwiegenheit ihrer Mitangeklagten mangels Beweises freigesprochen. Fünf Tage später, um einer drohenden Überführung in ein KZ zuvor zu kommen, flieht sie ebenfalls nach Prag. Bis 1939 entstehen hier Zeichnungen und Aquarelle mit antifaschistischer Thematik, liebevolle Darstellungen des Alltags in ihrem Gastland, Märchenillustrationen und Porträts.

Während Johannes Wüsten 1938 mit einem französischen Visum nach Paris gelangt,. kann sie Prag erst am 5. März 1939, zehn Tage vor dem Nazi-Einmarsch, in Richtung Großbritannien verlassen. In London arbeitet sie als Hausangestellte und Köchin, später bestreitet sie ihren Lebensunterhalt durch kunstgewerbliche Heimarbeit (Lederartikel und Keramik-Malerei). Viele Zeichnungen und Aquarelle entstehen in den Jahren der Emigration, englische Landschaften und Motive aus London-Hampstead. Ein Brief vom 29. Mai 1940 ist das letzte Lebenszeichen, das sie von Johannes Wüsten aus Frankreich erhält. Erst im Frühjahr 1945 gelangt eine Kriegsgefangenen-Zeitung der "Bewegung Freies Deutschland für den Westen" vom Dezember 1944 nach London, in der ein Freund einen Johannes Wüsten gewidmeten Nachruf veröffentlichte. In einer Matinee wird am 25. März 1945 des im Zuchthaus Brandenburg Verstorbenen gedacht.

Ende September 1946 kehrt Dorothea Wüsten nach Berlin zurück. Sie malt und schreibt, ist als Lektorin und Illustratorin tätig. Im Dietz-Verlag erscheint 1947 ihre Kindergeschichte "Igel Kaspar", die sie farbig und schwarz-weiß illustriert. Von 1949 bis 1951 arbeitet sie am Berliner Rundfunk. In den fünfziger und sechziger Jahren entstehen weitere Porträts und Ölbilder. Vorwiegend widmet sie sich nun der Verbreitung der Werke von Johannes Wüsten. Es erscheinen Buchausgaben, Theateraufführungen und Ausstellungen finden statt. Im Jahr 1971 verleiht die Stadt Görlitz die Ehrenbürgerwürde an Dorothea Wüsten. Drei Tage nach ihrem 81. Geburtstag verstirbt sie am 11. November 1974 in Berlin.